Buchbesprechung/Rezension:

Auslander, Shalom: Eine Vorhaut klagt an

verfasst am 18.08.2010 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Auslander, Shalom
Genre: Romane
Buchbesprechung verfasst von:

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[Gesamt: 1 Durchschnitt: 5]

Shalom Auslander und seine Frau Orli erwarten ein Baby, einen Sohn. Während das Kind im Bauch von Orli heranwächst holt Shalom die von Angst besetzte Vergangenheit  ein.  Seine Kindheit verbrachte er in New York. Diese war geprägt von der strengen Erziehung der ultraorthodoxen Juden und den Rabbis. Er musste sich den göttlichen Gesetzen und der strengen Einhaltung der Traditionen und vor allem seinem Vater  unterordnen.

Shalom  forderte aber Gott und seine Gerechtigkeit in fast ketzerischer Weise heraus, indem er sich bereits ab der frühen Jugendphase gegen diese göttliche Ordnung auflehnte. Shaloms Vater trank hin und wieder ganz gern und wurde dann höchst aggressiv, was vor allem Shaloms Bruder sehr zu spüren bekam. Nicht einmal schlug ihm der Vater die Nase blutig. Shalom nahm sich vor, so lange und so viel zu sündigen, sodass Ha-Schem, der wahre Richter, seinen Vater tötete. Denn laut Judentum musste der Vater für die Sünden des Sohnes büßen.

An einem Sonntagnachmittag, Shalom ist ungefähr neun Jahre alt, ist  er mit seiner Mutter im städtischen Bad. Wie aus dem Nichts weht eine Brise an ihm vorbei, eine Brise, die duftet nach etwas Süßem und zugleich Scharfem, nach etwas Schmutzigem und Fantastischem, etwas, wovon ihm das Wasser im Mund zusammenläuft. Er unwiderstehlicher Geruch von trefem, also nichtkoscherem Fleisch, das auf dem Grill des Badekiosks vor sich hin gart, lässt eine unbekannte Begierde in ihm erwachen.

Damit beginnt der innere Aufstand gegen Gott, seine strenge Erziehung und gegen seinen Vater. Auch wenn im Buch Sohar, eines der heiligsten Bücher im Judentum, steht, dass Gott über einen, der nicht koscher ISST, ihn in dieser Welt verabscheut und ihn in der nächsten foltern wird, bestellt sich Shalom einen Hotdog. Wahrscheinlich hat Gott so ein Ding überhaupt noch nie gesehen, was kann er schon gegen eine Stange Fleisch haben. Trefe ist aber mehr als ein Wort für verbotenes Essen. Trefe bedeutet, jemand oder etwas ist ekelhaft, übel, widerlich, unmoralisch, abscheulich. Ins Kino gehen ist trefe, fernsehen ist trefe. New York ist trefe. Nichtjüdische Mädchen sind trefe.

Nachdem er den Hotdog verspeist hat, fürchtet Shalom auch schon die Strafe Gottes. Wahrscheinlich würde er  ihn nie lebendig aus dem Schwimmbecken lassen, oder er würde mit dem Kopf gegen das Sprungbrett knallen.  Was für ein Leben, immer die Konsequenzen für das Sündigen mitdenken zu müssen.

Die Weisen sagen, die Tora sagt, Gott prüft die Menschen  täglich. Und dieser Prüfung unterzieht sich Shalom. Er beginnt Pornohefte zu lesen, Klamotten zu stehlen, und vor alle genießt er nichtkoscheres Essen. Er suchte sich nichtjüdische Mädchen, um seine sexuellen  Begierden zu stillen. Mit all diesen Lastern versucht er heraus zu finden, ob Gott ihn prüft und bestraft.

Doch bald hegt er den Verdacht, dass die Pornographie ihn belügt.  Nachdem sein nichtkoscheres Leben ans Tageslicht gelangt, die Eltern aus allen Wolken fallen, beschließt Shalom mit 18 Jahren nach Israel zu gehen, ins Gelobte Land, in das Land seiner Ahnen. Dort will er danach suchen, was alle Juden für Gott halten.

Er besucht auch die Klagemauer. Zuerst meidet er diesen verdammten Ort. Warum soll er sich an die Mauer stellen und beten, es wird sowieso nicht funktionieren, denn  für Shalom ist Gott ein Arsch, der die Menschheit auslacht. Nachdem ihn aber die Nachricht ereilt, dass Baba, seine Großmutter, sterben würde, nimmt er auf Bitten seiner Mutter doch die Gelegenheit wahr und stopft widerwillig – wie alle anderen Gläubigen – einen handgeschriebenen Zettel in die Mauerritzen. Er fleht um Gnade, doch dadurch wird Baba auch nicht gesund.

Bei einem weiteren Besuch an der Klagemauer stopft er einen Zettel in die Mauer auf dem er „Fick dich“ geschrieben hat. Nach ein paar Minuten verlassen ihn seine Nerven, er sucht in den Mauerritzen nach dem Zettel und hofft, Gott hat ihn noch nicht gelesen. Doch er wird von israelischen Soldaten daran gehindert, den Zettel wieder zu finden. „Jetzt hab ich Baba umgebracht“, geht ihm durch den Kopf.  Doch sie stirbt nicht in jener Nacht, auch nicht in jenem Monat. Vielleicht hat ja Gott vergessen, nach der Post zu sehen. Vielleicht ist ER ja auch gar nicht so schlimm.

Nach seiner Rückkehr von Israel lernt Shalom die junge Frau Orli kennen. Es gelingt ihm, sich von seiner destruktiven Familie abzulösen und eine liebevolle eigene um sich herum aufzubauen. Sohn Paix ist genau das, was Orli und er gebraucht hatten, um gemeinsam in eine befreite Zukunft zu gehen. Auch wenn das Thema Vorhaut weg oder nicht, Beschneidung ja oder nein, Verstümmelung oder  Anbindung an die Vergangenheit – noch ein paar Nerven blank legt – so findet  Shalom schlussendlich doch seinen Gott. Und er findet  ihn gar nicht mehr so arschig.

Eine wundervolle und humorvolle Auseinandersetzung mit den Themen prägende Sozialisierung,  Gott und seiner Gerechtigkeit!




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