Buchbesprechung/Rezension:

Diaz, Junot: Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao

verfasst am 03.07.2009 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Diaz, Junot
Genre: Romane
Buchbesprechung verfasst von:

diaz-oscar-waoGlauben sie, dass der Gewinner des Oscar wirklich der beste Schauspieler des letzten Jahres war? Da gibt es eine Menge anderer Kriterien (z.B. mag ihn Steven Spielberg?) die dabei eine Rolle spielen. Glaube ich, dass der Pulitzerpreisträger 2008 Junot Diaz wirklich das beste Buch des letzten Jahres geschrieben hat? Nun, ich muss ihnen offen und ehrlich gestehen: ja!

Ich habe in diesem und auch im letzten Jahr kein derart brilliantes Buch gelesen.

„Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao“ rollt wie ein Tsunami auf einen zu und macht alles platt – die Gedanken, die man vorher hatte, eventuelle Alltagssorgen, alles weg, niedergewalzt! Diaz’ Roman brodelt nur so vor Leben und kann seine Energie kaum für sich behalten, verstrahlt den Lesenden, dieses Buch ist quasi ein Super-Gau.

Die Sprache von Junot Diaz ist wild, manisch, verführerisch, elektrisierend, politisch unkorrekt, obszön – ach ich könnte ewig so weiterschreiben! Es ist eines der traurigsten Bücher die ich je gelesen habe, aber mit Junot Diaz am Steuerrad der Emotionen mag keine Trauer aufkommen, sondern eher das Gegenteil bis hin zur schreienden Komik.

Aber nun zur Geschichte selbst, die in New York und der Dominikanischen Republik spielt. Oscar Wao ist zu Beginn seines Lebens ein „richtiger Kindergartencasanova“. Mit sieben hat er bereits mehrere Freundinnen und ist überall der Mittelpunkt, ein typischer dominikanischer Mann halt. Aber der Spaß ist bald vorbei, weil er wird fett, aber so richtig fett! Und das heißt: keine Mädchen mehr, keine richtigen Freunde, einfach uncool, eine Witzfigur sein. Da bleibt nur die Flucht in das Nerdsein!

Wisst ihr was ein Nerd ist? Ein „Non Emotionally Responding Dude“ – übersetzt, ein auf der emotionalen Ebene nicht ansprechbarer Typ. Also ein Außenseiter, quasi das Gegenteil eines Partytigers. Comics, Rollenspiele, Science Fiction und die unbändige Sehnsucht nach Mädchen, das ist die Melange im Leben von Oscar. Oscar Wao leidet. Und wie er leidet!

Erschwerend kommt hinzu, dass seine Schwester Lola mit echt begehrenswerten Mädchen befreundet ist, die, wenn sie zusammen joggen gehen, aussehen, wie „das Sprinterteam im Paradies für Terroristen.“ Er flüchtet sich immer mehr in seine Parallelwelt und beginnt SciFi-Geschichten zu schreiben. Alles scheint darauf hinauszulaufen, dass Oscar der erste männliche Dominikaner wird, der als Jungfrau stirbt.

Der erste Teil des Buches ist unglaublich komisch, aber nach und nach entfaltet Junot Diaz die höchst tragische Geschichte von Oscars Familie und ihrer Wurzeln in der Dominikanischen Republik. Dabei enthüllt er exemplarisch die Mechanismen einer beinahe surrealen, extrem gewalttätigen Diktatur, wie sie im mittel- und südamerikanischen Raum im letzten Jahrhundert häufig anzutreffen war.

Rafael Leónidas Trujillo Molina, auch El Jefe, der verhinderte Viehdieb oder Fickfresse genannt, der die karibische Insel von 1930 bis 1961 terrorisierte, war unter sämtlichen „Perlen der Menschheit“ eine der Größeren, ein kleiner karibischer Adolf Hitler.
Wenn sie schon immer eine Diktatur errichten wollten und einfach nicht wussten wie, dieses Buch gibt ihnen die Anleitungen zur Hand.

Das monumentale Familienepos wird von einem Erzähler namens Junior, einem bindungsunfähigen Frauenheld, der eine Zeitlang mit Oscars Schwester Lola zusammen war, erzählt. Die Erzählkonstruktion ist komplex (Rückblenden, Perspektivenwechsel, Zeitsprünge) die Geschichte aber sehr gut nachvollziehbar. Diaz formuliert virtuos, die trashkulturelle Immigrantensprache ist seine Spezialität und längere Fußnoten (endlich wieder mal Fußnoten!) wie bei David Foster Wallace erteilen Geschichtsstunden in karibischer Historie.

Die regelmäßiger Verwendung von spanisch-dominikanischen Slangausdrücken verleiht Authentizität, der Mann weiß einfach wovon er schreibt. Junot Diaz, 1968 in der Dominikanischen Republik geboren, hat elf Jahre an diesem Brachialroman geschrieben. Leider dauert das Lesevergnügen nur einige Stunden, denn wenn sie die Geschichte von Oscar Wao zu Ende gelesen haben, werden sie sagen schade, echt schade, dass es schon vorbei ist.

Ich verrate ihnen natürlich nicht wie die Geschichte ausgeht, aber wenn sie den Titel lesen, dann …

Bewertung: 6 von 5!




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