Buchbesprechung/Rezension:

Thomas Hürlimann: Der große Kater

verfasst am 14.09.2011 | 1 Kommentar

Autorin/Autor: Hürlimann, Thomas
Genre: Biographien
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[Gesamt: 6 Durchschnitt: 2]

„Der Bundespräsident saß hinter dem Pult im Ledersessel. Er war am Ende. Er hatte keine Kraft mehr. Er liebte sein Land, seine Frau, und die Dämmerung liebte er auch. Es war der 19. Juli 1979, kurz nach 17 Uhr.“ Thomas Hürlimann erzählt im vorliegenden Werk eindringlich und wortgewaltig die Geschichte seines Vaters Hans, dem ehemaligen Schweizer Staatsoberhaupt, von seinen Landsleuten liebevoll der große Kater genannt.

„Viele blieben stehen, alte Männer zogen den Hut, und es sagten die Mütter mit ehrfürchtig leiser Stimme: ’Schau, mein Kind, da kommt der große Kater!’“ Der Staatsbesuch des spanischen Königspaares hätte der Höhepunkt seiner politischen Karriere werden sollen. Doch ausgerechnet am geplanten Zenit spinnt sein langjähriger Weggefährte Pfiff, der Chef der Sicherheitspolizei, eine teuflische Intrige, deren Auslöser in der Vergangenheit wurzelt.

Dort hat der große Kater nämlich einst Pfiff seine Freundin Marie ausgespannt. Sie ist heute seine Frau, die Mutter ihrer drei Kinder und selbstverständlich die First Lady. Der jüngste Sohn des Paares ist an Krebs erkrankt und liegt im Sterben. Pfiff hat den Besuch eben jener Kinderklinik ins Damenprogramm aufgenommen und dies auf unschuldig – perfide Weise damit begründet, dass Königin Sofia früher eine Kinderkrankenschwester war.

Für Marie entstand jedoch zwangsläufig der Eindruck, ihr Mann benütze den sterbenden Sohn für seine politischen Zwecke, die öffentliche Zurschaustellung soll ihm seine Karriere retten. Beim abendlichen Staatsdiner mit dem Königspaar kommt es zum Eklat, um nicht zu sagen zum Skandal. Der große Kater ist am Ende, sein Rücktritt scheint unabwendbar.

Aber der Präsident nimmt sich die anklagenden Worte seiner Frau zu Herzen, zieht alle Register seines strategischen Könnens und holt zum Gegenschlag aus, um zu retten was noch zu retten ist.

Streng chronologisch läuft die autobiographisch-fiktive Handlung während der 20 Stunden des spanischen Staatsbesuchs ab, nur unterbrochen durch Reisen in die Vergangenheit des großen Katers und seines langjährigen Gefährten Pfiff, quasi back to the roots. Und an den Wurzeln dieses Romans geht es nicht um Politik, sondern um alte Rechnungen, die beglichen werden wollen, um verletzten Stolz befeuert aus der unerschöpflichen Quelle von einst verschmähter oder gewährter Liebe.   

Hürlimann (ich meine den Schriftsteller) gewährt einen Blick hinter die Kulissen des politischen  Getriebes, in die höchsten Sphären der Macht. Bereits im Jahr 1979 war der Druck der Öffentlichkeit auf politische Amtsträger enorm – zur Erinnerung: dies war die Zeit als bei uns Bruno Kreisky aufgrund seines medialen Talents noch fröhliche Volksfeste feierte.

Die Grenzen zwischen Öffentlichem und Privatem beginnen zu verschwimmen, eine Entwicklung, die sich im 21. Jahrhundert in diese Richtung weiterpervertiert hat – man denke nur an die bizarren „Homestories“ oder an das Gesicht unserer Justizministerin, sozusagen ein Ka(r)lauer.

Spaß beiseite, ähnlich Kreisky war Hürlimann (ich meine den Politiker) noch das, was man eine Type nennt, ein Mann von Schrot und Korn, einer aus dem Volk. „Das war sein Markenzeichen – wenn er gefahren wurde, bediente der Bundespräsident die Hupe selber, vom Fond aus, und ihr Gequieke war laut genug, um schmetternde Militärkapellen, Schlachtenlärm, Glockenläuten und den Jubel der Massen schrill zu übertönen.“ – möglicherweise hat da unser Hubsi Gorbach etwas falsch verstanden.

Bundespräsident Hans Hürlimann ist jedenfalls nicht vergleichbar mit den neurolinguistisch programmierten, jederzeit austauschbaren Politzombies unserer Zeit. Und seinem Sohn Thomas ist mit dieser Mischung aus Politsatire, Familienepos, sowie philosophischer Reflexion ein Schlüsselroman seiner Zeit gelungen, der auch heute noch aktuell ist. Ach, was schreibe ich bloß, „der große Kater“ ist leider aktueller denn je.

PS: Im Jahr 2010 wurde das Buch verfilmt, mit dem grandiosen Bruno Ganz in der Rolle des großen Katers.




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