Buchbesprechung/Rezension:

Salva Rubio: Der Fotograf von Mauthausen

Der Fotograf von Mauthausen
verfasst am 26.08.2019 | einen Kommentar hinterlassen

AutorIn & Genre: Geschichte, Rubio, Salva
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

So vieles kommt in diesem Buch zusammen: die Lebensgeschichte des spanischen Fotografen und Widerstandskämpfers Francisco Boix. Der Bericht über das Grauen im Konzentrationslager Mauthausen. Der Zorn über das nach dem Ende des Krieges zunehmend nachlassende Engagement, die Nazis-Verbrecher gerichtlich zu verfolgen und zu bestrafen.

Das Buch teilt sich in zwei Abschnitte:

Das KZ Mauthausen

Zuerst die (gezeichnete) Geschichte Boix’, beginnend mit der Ankunft des Transportes in Mauthausen. Hier vermengen sich die nachgewiesenene Fakten mit Fiktion. Die reinen Tatsachen, das, was sich aus den Berichten der überlebenden Gefangenen und aus den von Boix aus dem Lager geschmuggelten Fotografien ganz eindeutig nachweisen lässt, sind schon kaum zu ertragen.

Am Ende gelang es Francisco Boix, mit diesen Fotografien im Nürnberger Prozess die Schuld und die Mitwisserschaft einiger Nazis und die unmenschlichen Zustände im Lager und das menschenverachtende Treiben der Nazis zu beweisen. Es ist das ganze Spektrum an Brutalität und an Gewissenlosigkeit, das sich eröffnet. SS-Leute töten ganz nach belieben, die Gefangenen müssen jederzeit damit rechnen, aus einem nichtigen Grund ermordet zu werden und wer nicht der Mordlust eines Nazis zum Opfer fällt, stirbt an Erschöpfung. Die Stiege des Steinbruchs von Mauthausen wurde zum ewig mahnenden Symbol der Vernichtung des Lebens durch Sklavenarbeit und ist noch heute zu sehen.

Es gibt eine kleine Gruppe von Gefangenen, die die Jahre im KZ überleben. Die Mitglieder dieser Gruppe der “Prominenten” nahmen Positionen im Lager ein, die sie für die Nazis wichtiger als andere machten und konnten damit ihre Überlebenschancen erhöhen. Francisco Boix war einer davon; zugeteilt dem Erkennungsdienst, der die neu hinzukommenden Gefangenen zu registrieren hatte, war er dem Hauptscharführer Paul Ricken unterstellt und hatte Zugang zu den Fotografien und zur Fotoausrüstung. 

Einerseits war Boix damit priviligiert, andererseits nützte er seine Position aus, um anderen Gefangenen zu helfen und fertigte unter steter Lebensgefahr Kopien der Fotografien an. Darauf fanden sich nicht nur Fotos für die Karteikarten sondern auch Bilddokumente über die SS-Lagerbesatzung und über Nazigrößen, die Mauthausen besichtigten und die Fotos unzähliger getöteter Gefangener.

Boix dokumentierte am Ende auch die Befreiung des Lager durch US-Truppen.

Nach der Befreiung des Lagers

Im großen Kriegsverbrecherprozess in Nürnberg wurden einige seiner Fotografien als Beweismittel gezeigt, womit es gelang zu beweisen, dass zB. Kaltenbrunner trotz dessen gegenteiliger Behauptungen, direkt in die Verbrechen involviert war.

Doch nur wenige der SS-Leute, die zehntausende Menschen in Mauthausen (und in den anderen KZs) folterten und ermordeten, wurden bestraft oder entzogen sich der Gerechtigkeit durch Selbstmord; die meisten jedoch kamen straffrei oder mit lächerlichen Strafen davon.

Nicht zu vergessen, im Buch aber nicht thematisiert, ist die teilweise sehr aktive “Mitarbeit” der Bevölkerung an der Verfolgung und der Auslieferung von geflüchteten Gefangenen an die SS; etwas, das man wohl auch heute noch in vielen Häusern in Mauthausen und Umgebung nicht hören will, denn es betrifft die Schuld der Großeltern-Generation. Eine der wenigen, die versuchten, den Gefangenen zu helfen, war die im Buch vorkommende Mauthausnerin Anna Pointner, die bei der Sicherung der herausgeschmuggelten Fotografien eine entscheidende Rolle spielte.

Ernüchternd und enttäuschend waren für Boix nach dem Krieg, dass einerseits die Verfolgung der Nazis bald mehr oder weniger eingestellt wurde und dass er andererseits nicht in seine Heimat Spanien zurückkehren konnte, weil das dortige Faschisten-Regime unter Franco weiterhin an der Macht bleiben konnte.

Boix starb im Jahr 1951 an den Folgen seiner Lagerhaft.

Der historische Hintergrund

Im zweiten Teil des Buches sind die historischen Fakten zusammengefasst. Ergänzendes Material über das Lager Mauthausen, eine Reihe von (wirklich erschütternden) Originalfotografien, eine kurze Biografie von Boix, Berichte über die im Buch auftauchenden realen Figuren.

In der Gegenüberstellung und Verknüpfung von geschichtlichem Hintergrund und dichter, atmosphärischer Erzählung über Tage im Lager, die mit nicht enden wollender Angst um das eigene Leben und dem Erleben der Brutalität der SS-Leute angefüllt waren, wird einmal mehr diese so unwirklich wirkende udn ungeheuerliche Zeit lebendig.

Wer von uns später geborenen könnte sich vorstellen, in so einem Lager eingesperrt zu sein und zu wissen, dass man jederzeit sterben könnte? Hier und heute kann das fast niemand mehr und die wenigen noch lebenden Überlebenden sind somit, wenn auch nicht mehr für lange Zeit, umso wichtigere Zeugen.

Wenn ich dann immer wieder (und immer häufiger) lese und höre, wie es Menschen gibt, die mit dieser Zeit nichts zu tun haben wollen, die möchten, dass endlich Schluß sei mit dem Erinnern, dann schleicht sich das Grauen langsam wieder heran. Kommen diese Wortmeldungen doch allesamt aus dem Lager derer, die heute wieder Rassismus, Hass auf Minderheiten und Angstmacherei durch Lügen bewusst einsetzen, um unsere liberale Demokratie in autoritäre Zeiten zurück zu stoßen.

Die Wahrheit ist:
es könnten noch unendlich viele Geschichte wie jene des Francisco Boix, dem Fotografen von Mauthausen, erzählt werden. Und sie sollten erzählt werden, um den Anhängern der Menschenfänger und Angstmacher aus dem Lager der Rechtsextremen und Rechtpopulisten das vor Augen zu halten, was die unzweifelhafte Konsequenz eines Erfolges dieser Kräfte sein würde: die Verfolgung aller, die dem Regime, oder auch nur einem einzelnen Protagonisten eines solchen Regimes, nicht passen.

In der Verbindung von Graphic Novel und historischen Dokumenten entstand mit “Der Fotograf von Mauthausen” ein Buch, das es schaffen kann, den einen oder anderen, der bislang mit dieser Vergangenheit nichts zu tun haben wollte, zu einem Interessierten zu machen.

Und jeder Interessierte ist eine Stimme mehr gegen die aufkeimenden faschistischen und nationalistischen Tendenzen.




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